Zum 3. Mal AdS-Preise «plume de paon» (Pfauenfeder) und «plume de plomb» (Bleifeder)



«Plume de paon 2014» für Le Courrier – Laudatio

Dieses Jahr schenkte der Genfer Salon du livre seinen Gästen bei der offiziellen Eröffnungsfeier ein Tintenfass. Doch was kann man mit einem Tintenfass anfangen, wenn man keine Feder besitzt, um sie hineinzutauchen? Hier ist sie also, die berühmte «Plume de paon», die Pfauenfeder, die dank der Grosszügigkeit des AdS vergeben wird!

Die Pfauenfeder zeichnet dieses Jahr nicht einen Verleger, sondern eine Zeitung aus. Tatsächlich schien es uns wichtig, in einer Zeit, da der Literatur in den Printmedien immer weniger Platz eingeräumt wird, eine Tageszeitung für ihr Engagement und ihre Bemühungen zur Verbreitung der Literatur auszuzeichnen und ihre Autoren zu würdigen. Der Preis, der zum dritten Mal verliehen wird, geht diesmal an die Genfer Zeitung Le Courrier.

Le Courrier bietet seinen Leserinnen und Lesern sehr persönliche Literaturkritiken, fundierte Textanalysen, die sich von den dürftigen Buchzusammenfassungen abheben, wie sie heute immer mehr die Kritik ersetzen. Wir würdigen auch die Auswahl der von der Zeitung vorgestellten Autoren: Es handelt sich teilweise um nicht oder wenig bekannte Autoren, die keinen kommerziellen Erfolg vorzuweisen haben, originelle Stimmen und häufig Autoren, deren erstes Buch besprochen wird. Um eine solche Palette und eine solche Vielfalt zu vereinen, muss man zweifellos von der Neugier und der Leidenschaft für die Literatur getrieben werden. Le Courrier erlaubt seinen Lesern schliesslich, das zeitgenössische Literaturschaffen in der Schweiz zu entdecken, publiziert die Zeitung doch seit 2007 zweimal pro Monat jeweils am Montag einen noch unveröffentlichten Text eines Schweizer Autors oder eines in der Schweiz lebenden Autors. Es handelt sich um eine vollständige Seite mit dem Text, einem grossen Foto des Autors und seiner Biografie, eine Seite, die einem Schriftsteller eine Öffentlichkeit bietet – und ihm nebenbei ein Honorar verschafft! Le Courrier pflegt ausserdem eine enge Zusammenarbeit mit verschiedenen literarischen Plattformen auf dem Netz – viceversaliteratur, ch-literatur –, auf denen übrigens alle unveröffentlichten Texte erscheinen.

Der AdS spricht dem Team der Zeitung Dank und Anerkennung für sein Engagement und seine wertvolle Arbeit zugunsten der Literatur und der Autoren aus. Zur Übergabe dieser Pfauenfeder, dank der hoffentlich noch zahlreiche schöne Seiten geschrieben werden, bitte ich Anne Pitteloud nach vorn, die Verantwortliche für Literatur bei Le Courrier.

Marie-Jeanne Urech, Schriftstellerin und Vizepräsidentin des AdS

Übersetzung: Gabriela Zehnder



«Plume de plomb 2014» für die TV-Sender der SRG SSR – Laudatio

Sehr geehrter Herr de Weck, Generaldirektor der SRG SSR, der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft,

bisher wurden unsere Preise «Plume de paon» (Pfauenfeder) und «Plume de plomb» (Bleifeder) an Verleger vergeben. Dieses Jahr hat der AdS beschlossen, eine Neuerung einzuführen und den deutsch-, französisch- und italienischsprachigen TV-Programmen über Ihre Person die berühmte «Plume de plomb» zu überreichen.

Dieser Preis, der die für die Literatur verhängnisvollen Einrichtungen auszeichnet – pardon, ich wollte sagen: die Einrichtungen, die in Sachen faire Beziehung zu den Autoren oder Förderung und Vermittlung von Literatur ein klares Verbesserungspotential aufweisen –, kurz, diese kritische Feder wurde Ihnen nicht leichtfertig, sondern im Gegenteil nach reiflicher Überlegung verliehen.

Warum wir gezögert haben? Weil uns schien, dass gewisse Bereiche Ihrer Gesellschaft – etwa Radio Télévision Suisse, insbesondere mit ihrer Literatursendung Entre les Lignes auf Espace2, oder Radiotelevisiun Svizra Rumantscha, die unter anderem mit der Sendung Il tavulin litterar aufwartet – sich einige bewundernswerte Oasen erhalten haben, die Respekt verdienen.

Wir haben jedoch festgestellt, dass die übrigen nationalen Fernsehsender sich in Sachen Verödung, ja gar Ausrottung der Literatur – pardon, ich wollte sagen: in Sachen Herabsetzung der Rolle, die den kulturellen, insbesondere den literarischen Akteuren in der Schweiz zugestanden wird – in einem solchen Mass hervortun, dass sie eine Auszeichnung wohl verdienen.


Literatur und Fernsehen …

Eine Assoziation, die vielleicht Angst macht beim Gedanken, sie könnte die gespenstischen Modelle der Vergangenheit wieder wachrufen: grässliche Brillengestelle, Schnurrbärte und Krawatten aus den Achtzigerjahren. Wenn irgendwelche Schriftsteller existierten, die ein attraktives Bild abgäben, wüsste man das, denken Ihre Redaktoren vielleicht, und wir können sie verstehen … auch wenn wir eine Reihe Ausnahmen von der Regel kennen, ob es sich nun um wendige, sexy wirkende junge Hipsters handelt, Stil frische Abgänger eines Literaturinstituts, oder um zeitlose, schöne und heitere Figuren wie Erica Pedretti, Schweizer Literaturpreis 2013.

Oder gibt es vielleicht einen anderen Grund, weshalb die Literatur in Ihren Programmen keinen Platz hat?

Literarische Themen zu behandeln bedingt natürlich ein gewisses Mass an Arbeit. Das aktuelle Literaturschaffen zu verfolgen, vielleicht sogar etwas aus dem Schweizer Literaturschaffen zu LESEN!, das bedeutet: Arbeitsstunden, beträchtliche Kosten, jedoch für einen geringen Ertrag. Denn wenn Sie Schweizer Autoren vorstellen, lebende Autoren überdies – die beim breiten Publikum umso weniger bekannt sind, als Sie ihnen den Zugang zu einem Mainstream-Medium verweigern –, gehen Sie ein hohes Risiko in Bezug auf die Einschaltquote ein, und es gibt natürlich keine globaleren Themen, die ein breites Publikum ansprechen könnten, wie etwa der Welttag des Buches oder der 450. Geburtstag von Shakespeare – Ereignisse, die Sie stillschweigend übergangen haben.

Und wenn Ihre Gründe noch an einem anderen Ort zu suchen wären?

Auf dem Gebiet der philosophischen Skrupel? Vielleicht befürchten Sie, dass das Fernsehen das Niveau der Kritik zwangsläufig senkt? In Pourparlers 1972–1990 erklärte Gilles Deleuze: «Was sich in der Sendung Apostrophes abspielt, ist schrecklich. Es handelt sich um eine technisch hochstehende Sendung, mit ihrer Organisation, den Einstellungen. Doch gleichzeitig verkörpert sie den Nullzustand der literarischen Kritik, eine Literatur, die zur Varietévorstellung verkommen ist. Pivot hat nie verheimlicht, dass seine Lieblingsgebiete der Fussball und die Gastronomie sind. Das wahre Problem der TV-Programme ist die Überhandnahme der Spiele. Es ist doch beunruhigend, dass sich das Publikum, überzeugt, es nehme an einer kulturellen Sendung teil, begeistert, wenn es zwei Männer sieht, die gegeneinander antreten, um ein Wort mit neun Buchstaben zu bilden

Auch in diesem Fall können wir Ihre Sorge verstehen: Welche Chance hätten die heutigen Schweizer Moderatoren, Inhalte von Format zu vermitteln, wenn es sich zeigt, dass sogar Bernard Pivot Mist produziert hat?

Nein, verzichten wir auf die Literatur, der Entscheid, nicht über sie zu reden, ist noch das beste Mittel, sie nicht zu trivialisieren, sie nicht in eine Welt hinein zu versetzen, in der sie nur entwertet würde, wir verstehen es, und wir würden sogar so weit gehen, diesen edlen Beweis Ihrer anspruchsvollen Haltung zu begrüssen, wenn wir der Meinung wären, Ihre Gesellschaft habe ungeniert zugelassen, dass sich das Schweizer Radio und Fernsehen in den letzten Jahren einer galoppierenden Boulevardisierung seiner literarischen Themen hingab.

Die neuesten Ereignisse im Zusammenhang mit der Sendung Literaturclub auf SRF1 beunruhigen uns. Gedenken Sie, an Stelle von Stefan Zweifel einen Moderator zu engagieren, der kompetenter ist oder über einen weiteren literarischen Horizont verfügt?

Ein solches Ziel scheint uns angesichts der unbestreitbaren Qualitäten von Herrn Zweifel schwer zu erreichen, und wir gestehen Ihnen offen, dass wir seine Entlassung für gefährlich halten. Dass sich das Niveau der einzigen Literatursendung des Deutschschweizer Fernsehens drastisch senkt, dass sich seine Linie als banal, wissenschaftlich wenig seriös und oberflächlich erweist, schockiert uns zutiefst.

Wie dem auch sei, die Literatursendungen ins Wanken zu bringen, sie mehr oder weniger abzusetzen bedeutet jedenfalls, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, ob diese nun mit der Herausforderung zusammenhängen, interessante Bilder und aussagekräftige Inhalte zu schaffen, oder allenfalls mit dem Diktat der Zuschaltquote und der Wirtschaft.

Kurz, ein weiser Entscheid für Pantoffelpapis oder Bildungsbanausen – pardon, ich wollte sagen: für Leute, die an kultureller Zaghaftigkeit leiden.

Ein Entscheid, der einem erspart, immer wieder Neues zu erfinden. Denn selbstverständlich gibt es keine Ideen für neue Formen: von oberflächlichen, jedoch spielerischen Ideen – speed-booking, oder warum nicht Schriftsteller in einer Reality- Show –, über seriöse Ideen – geschriebene Kritiken, die von den Webseiten Ihrer Gesellschaft heruntergeladen werden könnten –, kreative Ideen – eine Carte blanche für die Verleger, multimediale Schöpfungen, in denen visuelle Animationen mit Regie vereint würden –, bis hin zu verrückten Ideen – ein Gedicht pro Tag, das, auf den ersten Kanälen, vor den Nachrichten vom Sprecher gelesen würde (ein Prinzip, das sich der französische Dichter Jean Pierre Siméon erträumt).

Wie gesagt, wir sind uns sehr wohl bewusst: Das alles würde verlangen, dass man sich mit Elan einsetzt, ja, dass man mit Mut und Kühnheit vorangeht, ohne sich mit Hypothesen zu belasten oder dem Interesse oder Desinteresse des Zuschauers vorzugreifen, mit einem Wort, dass man dem Publikum die Möglichkeit zu Entdeckungen bietet – heisst es nicht, das Fernsehen sei ein öffentlicher Dienst?


Genug der Worte. Wir hoffen, lieber Herr de Weck, Sie seien empfänglich für unsere Geste und die Literatur erobere dank unserem künftigen Austausch und unseren Verhandlungen den Platz zurück, der ihr gebührt in einem Radio und Fernsehen, das im Dienste des öffentlichen Wohls und der Demokratie steht.

Für die Musik und den Film wurden schon Abkommen geschlossen, welche die kulturelle Aufgabe der SRG SSR in diesen Bereichen festlegen. Wir wagen zu träumen, dass eine solche Übereinkunft auch für die Literatur getroffen wird!

Antoinette Rychner, Schriftstellerin und Vorstandsmitglied des AdS (2012–2014)

Übersetzung: Gabriela Zehnder