JA zur Buchpreisbindung: von Alberto Nessi, Schriftsteller und Vizepräsident des AdS

Wie viel ein Buch kostet

An einem schönen Tag will ich meinen letzten Gedichtband kaufen, um ihn zu verschenken. Ich schaue auf den Buchumschlag und entdecke einen Kleber mit dem neuen Preis, daneben der Name Orell Füssli, eine deutschschweizer Holding der Presse und des Buchhandels. Eine nicht bescheidene Preiserhöhung, die da aufgedruckt worden ist: von vierundzwanzig Franken auf einundvierzig fünfzig. Fast das Doppelte des Buchdeckelpreises. Ein legaler Diebstahl, zu Lasten des Lesers und des Autors; wobei letzterer, armer Teufel, mit einem solchen Buch, wenn alles gut geht, einen Franken zwanzig verdient.
   So funktioniert das Gesetz der freien Marktwirtschaft, das von denjenigen geliebt wird, die das Referendum gegen das  Bundesgesetz der Buchpreisbindung ergriffen haben: die Rechte in der Schweiz (die FDP, die Grünliberalen, die Piratenpartei, die SVP mit einigen Ausnahmen). Und die Lyrik, schon auf Intensivstation, geht unter, weil sie so teuer ist, dass sie von niemandem gekauft wird. Auch wenn weniger für die Poesie verlangt würde, könnte sie nur mühsam überleben; erst recht nicht, wenn sie vierzig Franken kostet. Die Lyrik, ohne die das Leben noch armseliger ist.

   Meine Worte sind auf Eis geschrieben, dessen bin ich mir bewusst. Niemand hört auf die Schriftsteller. Heute diktiert der Discounter, der Manager, der Populist, das Gesetz. Und überhaupt, den meisten ist die Kultur gleichgültig und sie werden sowieso nicht zur Urne gehen. Aber diejenigen, die abstimmen werden, sind nicht auf den Kopf gefallen und verstehen, dass, so wie man die Preise für die Landwirtschaftsprodukte, die Zugbillete, die Tarife für den Kaminfeger und die Mieten vorschreibt, auch den Liberisten Einhalt bieten soll, welche die Richtung vorgeben. Wer für die Biodiversität ist, ist auch für die Bibliodiversität, welche die Polyphonie des Geistes fördert. Wer für den Dorfladen ist, ist auch für die kleine Buchhandlung, wo er in der italienischen Schweiz Bücher von Markus Werner und Franz Hohler findet, und nicht nur diejenigen von Federico Moccia. Nicht Bücher aus Plastik, die eh schon superbillig im Supermarkt zwischen Unterhosen und BHs zu finden sind, aber Bücher aus Fleisch und Blut, Bücher, die den Geist und das Herz nähren. Richtige Bücher.

   Ein Buch. Ein schönes Buch. Ein wunderbares Buch. Ein kleiner Quader aus Papier. Ein wundervolles, kleines Buch. Ein Buch aus sechshundert Seiten im Neudruck. Ein mit Indigoblau auf elfenbeinfarbenes Papier geschriebenes Buch. Ein Taschenbuch, das man im Zug lesen kann. Ein Büchlein zu fünf Franken. Ein gravierter Kunstbuchband. Eine hellblaue Plakette mit vergilbtem Buchrücken. Ein Paperback. Ein winziges Büchlein 10 cm auf 10 cm. Ein seltener Gedichtband von einem Poeten, der den Freitod gewählt hat. Ein Offsetdruck für die Studis. Ein vergriffenes Buch. Ein verbotenes Buch. Ein von Hand gebundenes Buch. Eine Aphorismensammlung, die zu glossieren ist. Ein freidenkerisches Pamphlet. Ein Buch mit einer Blume zwischen den Seiten. Eine Broschüre. Ein rares Buch. Ein Buchband, bereit zum Wurf gegen die  Gleichgültigen. Das ist die Bibliodiversität.
   Aber die Gleichmacher lieben die Soldaten mit kahlgeschorenem Schädel, alle gleich und lächelnd, aufgestellt in den Kasernen der Shopping Centers, eingelullt von einer einschläfernden Musik. Wir ziehen die Burschen vor, die um die Welt gereist sind und uns in einer Ecke einer versteckten Buchhandlung erwarten und eine Liebesmelodie pfeifen oder einen Flamenco improvisieren oder sich um sich selbst drehen wie die Sufis. Oder der besänftigte Magister, der uns die Weisheit lehrt.

   "Wie viel kostet dich ein Buch?" fragt man mich.
   "Die Mühe, es zu schreiben", antworte ich, "die Mühe und die Freude es zu schreiben. Ein Geschenk zu machen."
   Der Schriftsteller ist kein Narzisst, eher einer, der die Narzissen mit seinen Worten zum Duften bringt, denn nicht alle haben das Glück, blühende Narzissen auf offenem Feld zu bewundern. Der Autor ist einer, der uns imaginäre Narzissen und echte, wahre Chrysanthemen schenkt, Überlegungen und Meinungsänderungen, Gedanken und Gelächter, nicht einen Lichtschirm, aber ein Licht, das unseren Geist erhellt.
    Um ein solches Licht zu sein, arbeiten die Dichter und Schriftsteller hart. Für meinen letzten Prosaband – man verzeihe das persönliche Beispiel – hab ich etwa zehn Jahre gearbeitet: Dokumentationsbeschaffung, Lesen, Reisen, Pausen und Überarbeiten inbegriffen. Mein jüngster Lyrikband hingegen ist die Auslese von 40 Jahren Säen und Ernten.
Warum also die Arbeit der Schriftsteller, sowie die Bücher aus Fleisch und Blut zugunsten von reinem Marketingplastik in den Schatten stellen?
  Indem wir am 11. März ein Ja in die Urne legen, verteidigen wir nicht nur die Literatur und die unabhängigen Buchhandlungen, sondern auch die Seele.

Alberto Nessi

(deutsche Übersetzung Antonella De Marchi-Pilotto)

 

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